Der Tod lebt

Der Tod lebt

Horst Samson umspielt das Enden
Antiker Abschied Liebieghaus Frankfurt | © Bernd Leukert

Jean-Paul Sartre hat die Frage nach dem Tod nüchtern beantwortet. Solange er, Sartre, da sei, sei der Tod nicht da. Sei der Tod da, sei er nicht mehr da. Die Poeten allerdings wären ohne die Beschwörung des personifizierten Todes um einen beträchtlichen Sektor ihrer Produktion ärmer. Horst Samson hat in seinen jüngsten Gedichten den „Weltmann“ in den Blick genommen. Matthias Buth hat seine Verse gelesen.

Tod, Sterben und Vergehen sind stetig pulsierende Quellen der Poesie. Gedichte wollen seit Jahrtausenden dagegen anschreiben, anklagen, verzweifeln und immer ins Leben einzubeziehen, was doch immer trennt. Gedichte scheitern, denn das Enden stellt keinen Passierschein aus. Es belauert uns und setzt Grenzen, die unsichtbar bleiben bis zu dem Augenblick, der alles nimmt und die Hoheit der Zeit beweist.

„Wenn die Reise auch ewig währte, / sie dauerte nur einen Augenblick, / und der Tod ist schon da, kurz zuvor.“ Dieser Vers von Giuseppe Ungaretti aus „Letzte Chöre für das gelobte Land, Rom 1952-1960“ intoniert die Erkenntnis des „Immer schon Daseins“ des unerbittlichen Grenzenziehers, des Lebensimperators, dem keiner ausweichen kann. Wer liest, Gedichte gar, will mehr wissen von den Sphären, die sich dem wirklich Vorstellbaren entziehen. „Wo // wo bliebe das wort, abgeschwiegen dem tod, wäre hochgesetzt, / der hallraum nicht / eines herzens“ dichtet Reiner Kunze im Band „eines jeden einziges leben“ (Frankfurt am Main 1986). Der italienische und der deutsche Dichter versuchen, dem Tod Leben zu geben oder in den Innenbereich des Verfügbaren einzubeziehen. Das ist mutig, anrührend und zugleich hilflos, sind doch Worte die Gefährten des Uneigentlichen.

Horst Samson, der im rhetorischen Gestus die Zeilen bricht, bedenkt und begrübelt, kennt die dünne Haut der Sprache, die vor nichts bewahrt und rettet: „Die Sprache kopiert uns bis zuletzt, / Dann verliert sie, // Ihre Macht, verliert uns aus dem Auge / Und sich // Im Universum als schwer lesbares Plagiat / Der Zeit. Es hilft kein Gebet, // Kein Wünschen, kein Gott, / Spurlos endet sie mit uns…“ Das Sterben ist Nichtsprechen, es entlässt ins Nichtmehr. Gott ist für Samson keine (Sprach-) Größe, keine Zuflucht von Geist und Gedächtnis, eben kein „Hallraum“ im Sinne Kunzes und somit der Himmel „leeres Geheimfach.“ Die Sprache ist für Samson eine Geliebte, die sich ihm immer wieder entzieht und schließlich allein lässt. Dann fehlt das Gegenüber, fällt der Vorhang und nichts bleibt zurück. Diese tiefe Lebens- und Sprachtrauer wurzelt tief, macht zuweilen an den Großen der Dichtung fest, so an Paul Celan, Nelly Sachs oder Fernando Pessoa, was wie ein Anklammern des Ertrinkenden an deren Wortbojen wirkt, hat aber eine biographische Begründung, in den Lebensgeschichten seiner Vorfahren und in seinem 1954 im rumänischen Baragan begonnenen Leben.

Wer Rumänien nur flüchtig kennt und den Autor in den Kreis deutscher Schriftsteller um Herta Müller, William Totok, Johann Lippet und Richard Wagner verortet, in jene Gruppe im Banat in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, die einen eigenen Ton suchte und deshalb ins Visier der Securitate geriet, könnte Samson für eine Banater Lyriker halten. Adjektive haben meist etwas Possessives und sind für die literarische Zuschreibung von wenig Belang, eher kann die Familiengeschichte, die nicht selten Traumata mitvererbt, dem literarischen Schreiben Positionslampen geben.
 
 

Kurzes Gedicht vom langen Leben

Leben in der Fremde
Ist Leben auf dem Friedhof,
Sie war fast stockblind,
Zwischen Eisenbetten
Im Durchgangslager
Und dachte eine Zeit lang
Nach. Niemand in Heidelberg
Wusste, worüber und warum
Sie sich eines Tages
Ohne ein Wort zu sagen
Ins Bett legte und starb.
 
 

Mehr eine Notiz als ein poetischer Kristall und doch das Leitmotiv von vielen Gedichten, Textkollagen und Epigrammen des Autors: Fremdheit, Eisenbetten, Durchgangslager. Er kam eben nicht aus dem kakanischen Banat, wo die Habsburger Architektur nach Wien klingt und eine würdige und würzige Gemütlichkeit ausstrahlt. Auch heute noch oder erst jetzt wieder, wo alte Farben wieder leuchten. Samsons Familie war deportiert, als alles Deutsche nazi-kontaminiert war oder so stigmatisiert wurde. Die deutschen Minderheiten aus Siebenbürgen, Sathmar und Banat wurden umfassend politisch verdächtigt und als Menschenmanövriermasse deportiert. Dies war und ist ständige Praxis diktatorischer und oft kommunistischer Regimes, so auch in Rumänien.

17.Juni 1951: drei Stunden Zeit wurden den Familien gegeben, einen Leiterwagen zu bepacken. Samsons Vater, einer von der deutschen Geschichte Geschlagener (erst Soldat, dann Kriegsgefangener), musste sich mit seiner Familie auf den Weg machen ins Niemandsland, nach Baragan am äußersten Zipfel des rumänischen Flachlandes, eigentlich in den Tod, der in Erdlöchern aufgehalten werden sollte, die rasch zu graben waren, bis erst später primitive Holzverschläge und Lehmhütten entstanden, die dem Steppenwind Muscal wenig entgegensetzten und noch weniger den Winterstürmen. In diese existentielle Aussichtslosigkeit wurde Horst Samson hineingeboren.

Der Ort der Deportierten-Ansiedlung hieß Salcami, inzwischen zu Staub verfallen. Ein Kainsmal für alle Deportierte, das die rumänische Staatsführung aus deren Viten wegretouchierte, als man nach Jahren die Entwurzelten ins liebliche Banat zurückkommen ließ. Der Landstrich von Baragan ist nur klanglich verwandt mit Magadan am äußersten Rand Russlands, unweit von Wladiwostok, wo Menschen vieler Nationen und auch viele jüdische Menschen deportiert wurden nach dem Zweiten Weltkrieg und auch jetzt wieder, wo durch das russland-putinische Regime systematisch Ukrainerinnen und Ukrainer ihrer Heimat beraubt werden, um sie physisch und psychisch zu vernichten oder zumindest moralisch zu betäuben. Welche Gedichte werden uns in den 30er und 40er Jahren unseres Jahrhunderts erreichen, wie werden die Traumata, die seelischen Verwundungen ins lyrische Sprechen kommen?

Auch in Büchern wie „Heimat als Versuchung – Das nackte Leben“ und „In der Sprache brennt noch Licht“ ist Horst Samson in Essay und Gedicht seinem Lebensthema nachgegangen, der Tod ist ihm ein naher Nachbar. Er lässt ihn nicht los. Und er variiert die Angst und den Schrecken, der Kumpel und Gefährten Tod in seinem umfangreichsten Gedichtband „Der Tod ist noch am Leben“. Bunte Facetten leuchten auf. Sich an Nelly Sachs’ Zyklus „In den Wohnungen des Todes“ in den Gedichtfolge „DAS ÜBERGEORDNETE“ anzuhängen, erstaunt und wäre überzeugender, wenn der Autor sich vor die doch so sehr von der Shoa getränkte Lyrik gestellt hätte, denn das Sterben und Vergehen in Auschwitz stehen auf einem einsamen Felsen.

Der gekonnt feuilletonhafte Ton seiner ganz eigenen Tod-Umspielungen klingt durch im Text „DER TOD DENKT NICHT AN DAS ENDE VOM LIED“, das geradezu rilkehaft endet:

Der Tod ist letztendlich ein Weltmann,
Er versteht alle Sprachen. Seit seiner Geburt
Arbeitet er ernsthaft, zuverlässig und ist
Andächtig bei der Sache, knochenhart.
Er ist stur, folgt keinem Führer, keiner Ideologie,
Untersteht keinem Parlament. Er kennt sich.
Aus, fühlt sich überall zu Hause, liebt
Den Job. Seine Heimat ist das nie endende Nichts

Rilke schrieb am 6. Januar 1923 an die Gräfin Sizzo: „Das Leben sagt immer zugleich: Ja und nein. Er, der Tod, (ich beschwöre es zu glauben!) ist der eigentliche Ja-Sager. Er sagt nur: Ja. Vor der Ewigkeit. Es sollte gelingen, das Wort Tod ohne Negation zu lesen…Nur weil wir den Tod ausschließen, (…) ist er mehr und mehr zum Fremden geworden und, da wir ihn im Fremden hielten, ein Feindliches.“ Die weit ausgreifenden Gedichte von Horst Samson holen den Tod ins Leben, der jedoch in den Mittelpunkt und innersten Freiheitsraum des Menschen nicht eindringen kann: in den Augenblick. Für Andreas Gryphius hat dieser Moment göttlichen Glanz. Auf diesen setzt Samson nicht, wohl aber auf die Kraft der Poesie.

Letzte Änderung: 29.06.2022  |  Erstellt am: 29.06.2022

Der Tod ist noch am Leben | © Bernd Leukert

Horst Samson Der Tod ist noch am Leben

Gedichte mit 23 Zeichnungen von Gert Fabritius
196 S., brosch.
ISBN: 978-3-86356-355-4
Pop Verlag, Ludwigsburg 2022

Hier bestellen
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Kommentare

jutta himmelreich schreibt
"göttlicher glanz", "poesie" im tod, wenn einem muße vergönnt ist, wird man kraft schöpfen können aus derlei betrachtungen über das eigene oder das ende anderer menschen. man tut wohl gut daran, ihn nicht auszuschließen und sich mit ihm anzufreunden, in vorbereitung auf die künftige begegnung mit ihm. lyrik, verse wie gebete, eignen sich gut als entsprechende denkanstöße. angesichts der grausamen verhältnisse rund um den globus jedoch, die - obwohl wir's längst besser wissen und besser machen müssten - seit vielen dekaden fried- und würdevolles leben verhindern, weil menschen verhungern, vertrieben dahinsiechen, als kanonenfutter dienen ... der tod findet leider in menschen seit jeher seine grausamsten verbündeten. handlanger, die feindbildhauereien auf hochtouren bringen, immer neu die ewig alten lieder von verachtung, hass und gier und zwietracht singen. ihnen, unbehelligt, allerschwersten reichtum bringen, andre menschen indes millionenfach zwingen, keines natürlichen todes zu sterben.

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