
„Dichter!“ war ein Schmähruf des SDS Ende der 60er Jahre. Der Schriftsteller Harald Gröhler aber, der von 1960 bis 1990 in Köln lebte, engagierte sich in der dortigen Literarischen Gesellschaft und veranstaltete unter anderem bis 1995 über 950 Schriftstellerveranstaltungen. Ausgewählte Begegnungen mit den schreibenden Kollegen und Kolleginnen beschreibt er, mit Autorenfotos von Brigitte Friedrich, in seinem Buch „Dichter! Dichter!“. Matthias Buth hat es begeistert.
Köln ist in Köln am schönsten. Besonders im Agnesviertel, wenn die grazile neugotische Kirche am Abend angestrahlt wird von Scheinwerfern, den Turm hinauf bis zur Spitze: Zum Niederknien, würden die Wiener sagen. „Un wenn et Trömmelche jeht / Dann stonn mer all parat / Un mer trecke durch die Stadt / Un jeder hätt jesaat / Kölle Allaaf, allaf, Kölle allaaf“. Wer das hört, fließt dahin, ist da, wo das Glück parat ist. Die Effzeh-Fans wissen das: denn dann ist das Müngersdorfer Stadion en Trömmelche, immer, wenn endlich das Tor fällt, das schon lange in der Luft lag. 50.000 = ein Gesang.
Und dann saßen ein Dutzend Leute am 11. 11. in der Agnes-Buchhandlung, um nochmal Harald Gröhler, den Erfinder der literarischen Dreistädte-Tour Köln-Pulheim-Brühl, zu erleben, jene VHS-Reihe, die er „Literatur aktuell“ nannte und mit über tausend Autoren von den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis fast zur Jahrtausendwende organisierte und moderierte. Er hat darüber ein flottes Buch geschrieben mit Feuilletons. „Dichter! Dichter!“ heißt es und enthält persönliche Erlebnisse mit 55 Autoren der ersten literarischen Reihe fest. Nicht alle Dichter wollten sich ansprechen und gar von der bundesweit bekannten Autorenfotografin Brigitte Friedrich im Bild erfassen lassen. Sie, die Bildkünstlerin und er, der Lyriker und Romancier, waren ein Team und sind es noch. Und von den beiden erzählt das Buch.
Und da saßen wir und hörten zu und was passierte? Dat Trömmelche jing vorbei. Eine staatse Karnevalsgesellschaft in Reihe und Glied, mit dr decken Trumm und den blitzenden Bläsern marschierte entlang des Schaufensters und spielte das Lied, das den Winter vertreiben soll. Und das schafft’s auch immer wieder. Poesie drinnen und draußen. So ist Köln am schönsten und was für’s Herz.
Der aus Schlesien stammende und 1938 in Hirschberg (die Polen nennen die Stadt nun Jelenia Góra) geborene Harald Gröhler ist Kölner auf dem zweiten Bildungsweg. Das ging nach 1945 vielen so in Köln und im Bergischen. Nicht umsonst heißt der Platz hinterm Hauptbahnhof “Breslauer Platz“, ein Name, der gegen allzu beflissene politische Umbenennungswüsche aus dem Stadtrat verteidigt wurde. Von Erich Fried (1921-1988) ließ sich Gröhler sein Gedicht „Familiensachen“ redigieren, er wurde zum Freund und war mehrfach in der VHS-Runde präsent. Von ihm bezog das Buch den Titel mit den fast 60 Porträts von H.C Artmann, Wolf Biermann, Heinrich Böll über Peter Handke bis zu Marie Luise Kaschnitz, Friederike Mayröcker und natürlich der ewig quirligen Hilde Domin oder Günter Wallraff und Gerhard Zwerenz.
Was der SDS (der Sozialistische Deutsche Studentenbund von 1949 bis 1970) ist, wissen heute nur noch wenige, auch dass die Stasi an den Unis kräftig mitmischte und Verschwörungen beschwor. Fried hatte dafür ein Ohr. Gröhler schreibt: „Und das Ganze war eben doch eine glatte Verschwörung. Die hatte Erich Fried zusammengebracht. Die SDS-Studis warfen der Gruppe eine „apolitische Haltung“ vor und skandierten Parolen wie ‚Die Gruppe 47 ist ein Papiertiger’ oder einfach höhnische Rufe ‚Dichter! Dichter!’ – Tja, das war alles nicht falsch und doch daneben. Denn wer ein Dichter ist oder sich so bezeichnen lässt, gilt als Seelchen, dem es an politischem Durchblick fehlt. Das sind eher Spitzweg-Bilder. Dass die Gruppe 47 im Jahre 1967 mit dem 29. Treffen dahin ging und in Fried ein Mitglied hatte, das die klandestinen Netzwerke durchschaute, berichtet Gröhler, was ihn aber wirklich verband mit diesem noblen Dichter war, dass Fried ihm viele Gedichte durchsah und mit treffenden Bemerkungen umspielte, was dem Kölner lyrisch half. Das schreibt er hier offen und dankbar.
Harald Gröhler schwingt sich in seinen gröhlerisch geschriebenen Feuilletons nicht zu germanistischen Höhenflügen auf. Das Buch nimmt man gerne zur Hand, weil es authentisch berichtet von Begegnungen, die gelangen und die schief gingen wie der Besuch bei Erich Kästner oder die Abreise ohne Lesung von Christian Graf von Krockow. Auch den mürrischen Bernd Jentzsch, ein Meister-Dichter („Quartiermachen“ im Hanser Verlag 1978 sein bestes Werk), der sich vor der SED-DDR in die Schweiz retten konnte, nimmt er ins Bild. Köstlich das steife Interview mit Marie Luise Kaschnitz und echt kölsch die Erzählung über die Autofahrt mit Günter Wallraff. Jeder Text ist eine Retro-Reise. Wie „Wetten, dass…“ im Fernsehen. Nur schöner. Man wird wieder jung und stellt sein eigenes Zeitmaß fest an den beschriebenen Autoren, die nicht mehr da sind. Der ewig junge und vitale Harald Göhler kam einen Abend zurück von Berlin, wo er lebt. Aber er bleibt ne kölsche Jung. Schlesier haben ein weiches Herz. Gut, dass sie Bücher schreiben.
Letzte Änderung: 29.11.2021 | Erstellt am: 29.11.2021

Harald Gröhler Dichter! Dichter!
So begegneten sie mir.
Mit Fotografien von Brigitte Friedrich
307 Seiten, broschiert
ISBN-13: 9783826068843
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2019
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