the frontal lobe looks good. always nice to bite into the curb.

Omnipräsente Kontrollmechanismen irdischer Gesellschaftssysteme schränken zunehmend existenzielle Freiheiten ein. Ein Überwinden dieses Zustands scheint unmöglich und mündet im ewigen Hoffen auf das transhumanistische Sein. Im Kontext der alptraumhaften Vorstellungen von Science-Fiction Autor:innen, wie George Orwell oder Stanisław Lem, findet sich ein surreal retrofuturistisches Modell einer nichtexistenten Raumzeit im Ausstellungsraum wieder, zusammengesetzt aus Radioröhren, Platinen, Parabolspiegeln, Fotografien und wucherndem Bauschaum - irgendwo zwischen unschuldiger Niedlichkeit und verschlingenden, dystopischen Auswüchsen.
Immer wieder werden die Gegensätze von Utopie und Dystopie
verhandelt. Die zeitliche Einordnung jener Begriffe bezieht sich mal
auf zukünftige Vorstellungen des Seins, verortet sich retrospektiv
in der Vergangenheit oder wird als gelebter Ist-Zustand in Referenz
zu zuvor Erdachtem beschrieben. Jene modellhaften Beschreibun-
gen von Welt spiegeln die Sehnsüchte und Ängste des Men-
schen wieder. Sie haben sich seit der Industrialisierung stark mit
wissenschaftlichen und den aus ihr hervorgehenden technischen
Entwicklungen sowie seit den 80er Jahren mit dem Aufkommen
des digitalen Zeitalters verknüpft. Die vorherrschende Tendenz
jener beiden Begrifflichkeiten scheint sich in den letzten Jahren
immer mehr der Dystopie zugewandt zu haben. Der technisch
positivistische Gedanke, der noch solide bis in die 70er Jahre galt,
wurde nach und nach zersetzt unter den negativen Konsequen-
zen, welche das Vorantreiben jener Entwicklungen noch bis heute
mit sich bringt. Von Coltan-Minen und Hungersnot über endlose
Müllberge bis hin zum Anti-Aging-Wahn – die erzwungene und
freiwillige Sklavenmentalität erzeugt am Anfang und Ende doch
immer nur Krieg. Globale Verschränkungen lassen ein Unwissen
um das Unrecht, das auf der Welt geschieht, schlichtweg nicht
mehr zu. Mensch und Umwelt ächzten unter dem geplatzten Traum
vom Freiheitsideal, das nicht dazu in der Lage war die menschliche
Natur mit ihrem Hunger nach Macht zu überwinden. Die alptraum-
haften Vorstellungen Orwells, Lems und anderer dystopischer
Sci-Fi Autor:innen haben sich mehr und mehr in die Gegenwart
eingeschrieben.
Kontrollmechanismen haben zugenommen und die Freiheit des
Seins im westlich urbanen Raum ist im Gestalten eines Grünstrei-
fens steckengeblieben. Der Leib der Ausgeburten des Digitalen
vergnügt sich im Fitnessstudio oder Realtime-Survival-Games,
unter der Sehnsucht jenen wahrnehmen zu können, jedoch ohne
sich dabei schmutzig zu machen, im ewigen Hoffen auf ein
transhumanistisches Sein. Was jedoch als Utopie bleibt, ist die
Tatsache, dass durch die digitale Vernetzung Zugang zu Wissen
geschaffen wurde, wodurch Minderheiten ihre Rechte stärken und
kollektive Verschränkungen eine gesetzte Herrschaftsmoral hinter-
fragen können. Zur Verhandlung der Menschenrechte ist
dies mitunter das wichtigste Werkzeug geworden. Der partizipati-
ve, offene Gedanke des „word wide web“ hat sich jedoch in weiten
Bereichen längst zu einem Ort entwickelt, der den Regeln
des Marktes folgt. Das Ideal des „Opensource“ Gedankens beugt
sich oftmals der Profitorientierung. Eine wichtige Frage der Gegen-
wart ist jene danach, wer die Kontrolle über Medien innehält und
somit die Meinungs- und Interessensbildung sowie Investitionsbe-
reitschaft einer globalen Welt formt. Gegenwärtige KI Entwicklun-
gen erzeugen die Rekursionsschleifen, die wir verdient haben in
einer flachen glatten Welt voller Spiegel.
Die gezeigte Arbeit setzt sich somit nicht nur mit der Frage nach
Machtentwicklung im technischen Fortschritt, sondern auch mit
dessen Konsequenzen auseinander. In ihr tauchen Elemente
vergangener technischer Entwicklungen auf und formen surreale,
retrofuturistische Welten, um unter der Prämisse des Verstehens
historischer Materialität ein Formulieren der Gegenwart zu ermög-
lichen.
So zeigen sich Radioröhren, Platinen und Parabolspiegel, Foto-
grafien von visualisierten Messergebnissen auf Oszillatoren sowie
Formeln aus dem Bereich der Atomphysik. Fragmente eines Spinn-
rads in Reminiszenz an den Beginn der Industrialisierung sowie
Patronenhülsen, deren technische Beschaffenheit keine Zweideu-
tigkeit in der Intension ihrer Entwicklung zulassen.
Jene Elemente werden zu architektonischen wie landschaftsbil-
denden Objekten zusammengefügt. Zudem tauchen immer wieder
Elemente des Wohnens, wie Fragmente aus Kleiderschränken
oder Stuhlbeine, in der Arbeit auf. Es handelt sich um Möbelstücke,
die ihre Form über Jahrhunderte verändert haben, jedoch nicht ihre
Dienlichkeit zur Erfüllung von Grundbedürfnissen. In einem
dargebotenen Video werden die Konsequenzen der medialen Aus-
einandersetzung mit dem zweiten Weltkrieg sowie die propagan-
distische Herangehensweise jener Zeit aufgegriffen. Innerhalb
eines an eine Waschmaschine erinnernden Objekts zeigt es
kaleidoskopartig zusammengefügte oder auf die Kleidung eines
Soldaten-Models projizierte Fotografien aus den beiden Weltkrie-
gen. Protagonist:innen, die stummfilmartig durch Deepfake zum
Leben erweckt wurden, erzählen Geschichten von längst Verges-
senem, Verschwiegenem auf der Suche nach einer verifzierbaren
Wahrheit, welche die Notwendigkeit der Aufarbeitung von Ge-
schichte anmahnt. Die globalisierte Welt hat die Verschränkungen
der Existenzen deutlich zu Tage treten lassen und so orientiert sich
auch jene Installation daran. Die Komplexität von Abläufen ernst
zu nehmen und mit Weitsicht die Konsequenzen des Handelns zu
erkennen, ist ein wichtiger Teil der Arbeit, sowohl im Denken als
auch in der Ausformung des Materiellen. Sie will anstrengen und
herausfordern, jedoch auch zum Spielen und Spazieren einladen
ohne zu behaupten, eine Antwort zu finden. Ein großer Menschen-
müllhaufen, der viel Zeit gefressen hat.
Letzte Änderung: 14.02.2023 | Erstellt am: 11.02.2023
Jana Bissdorf
the frontal lobe looks good.
always nice to bite into the curb.
Eröffnung
17. Februar 2023, 19-22 Uhr
Dauer der Ausstellung:
bis 26. Februar 2023
saasfee*pavillon
Bleichstraße 66 (Hinterhaus)
60313 Frankfurt am Main
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