GAURI GILL – ACTS OF RESISTANCE AND REPAIR

GAURI GILL – ACTS OF RESISTANCE AND REPAIR

Fotoausstellung in der SCHIRN

Die SCHIRN Kunsthalle präsen­tiert erst­mals Gauri Gills viel­schich­ti­ges foto­gra­fi­sches Schaf­fen in einer großen Über­blicks­aus­s­tellung. Mit der Ausstellung GAURI GILL. ACTS OF RESISTANCE AND REPAIR startet ein beeindruckender Kunstherbst in der SCHIRN. In der großen Überblicksausstellung werden 240 Werke aus zentralen Serien des vielschichtigen Schaffens der indischen Künstlerin und Fotografin gezeigt.

Fotoausstellung in der SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT vom 12. Oktober 2022 bis 8. Januar 2023

Gauri Gill (*1970, Chandigarh, Indien) ist Fotografin mit Wohnsitz in Neu-Delhi. Mehrere laufende Projekte dokumentieren ihren stets aufrechterhaltenen Glauben an kollektives Arbeiten, aktives Zuhören und an Fotografie als Erinnerungsarbeit. Gills Werk beschäftigt sich mit indischen Identitätsmerkmalen wie Kaste, Klasse und Gemeinschaft mit direkter Auswirkung auf Mobilität und Sozialverhalten. In ihrem Werk drückt sich Empathie, Staunen und ein großes Verständnis für Überlebensstrategien aus. Gill hat sowohl in Indien wie auch im Ausland ausgestellt: auf der 58. Biennale in Venedig, im MoMA PS1, New York, auf der Documenta 14 in Athen und Kassel, auf der Kochi-Biennale 2016 und im Smithsonian Institution, Washington D.C. Ihre Arbeiten sind in den Sammlungen international bekannter Institutionen vertreten, und 2011 wurde ihr der Grange Award, Kanadas wichtigster Fotopreis, verliehen.

Jetzt – ab dem 12. Oktober 2022 – präsentiert die SCHIRN Gauri Gills vielseitiges fotografisches Werk in einer großer Überblickausstellung – kuratiert von Esther Schlicht – und zeigt rund 240 ihrer Arbeiten aus den letzten Jahren. Neben dokumentarischen Aufnahmen, übermalten Fotografien versammelt diese Werkschau auch inszenierte Tableaux. Darunter befinden sich sowohl intime Momentaufnahmen ihr vertrauender Personen als auch konzeptuell angelegte Motivsammlungen.

Erstmals vereint diese Ausstellung die zentralen Werkgruppen – Fields of Sight (seit 2013), Notes from the desert (seit 1999), The Mark on the Wall (seit 1999), Ruined Rainbow (1999/2010), Jannat (1999 -2007), Balika Mela (2003 und 2010), The Americans (2002-2007), Acts of Appearance (seit 2015), Rememory (seit 2003), Traces (seit 1999) und Birth Series (2005) – der 1970 im nordindischen Chandigarh geborenen Fotografin in einer Ausstellung.

Die Fotografin erkundet abseits der urbanen Zentren Indiens das Leben und Arbeiten marginalisierter Bevölkerungsgruppen. Marginalisierung als sozialer Vorgang, bei dem Bevölkerungsgruppen an den „Rand der Gesellschaft“ gedrängt werden und dadurch nur wenig am wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilnehmen können.

Bei ihrer Arbeit legt Gauri Gill Wert auf langfristige Verbindungen. Ihre fotografische Praxis ist dabei Teil eines intensiven Austauschs und sozialen Prozesses, in dem über Klassen, Religionen, und Generationen hinweg, Fragen von Identität und Zugehörigkeit, Macht und Sichtbarkeit verhandelt werden.

Die Arbeiten sind in der Ausstellung nicht chronologisch geordnet, sondern in Zusammenarbeit mit der Fotografin als erzählender Parcours entwickelt worden.

Die Ausstellung beeindruckt – besonders auch wegen großformatiger Bilder und dem, was sie erzählen. Der Blick auf die fotografierten Menschen ist dabei nie voyeuristisch, sondern respektvoll und voller Mitgefühl. Sie zeigt den Menschen in seiner Einzigartigkeit und gibt ihm so seine Würde zurück.

Seit 2013 entsteht in gemeinsamer Autorschaft mit dem indigenen Künstler Rajesh Chaitya Vangad aus der Gemeinschaft der Warli die Werkgruppe Fields of Sight. Schwarz-Weiß-Fotografien Gills werden mit darauf ausgeführten filigranen Zeichnungen Vangads kombiniert und den Bildern somit ortsgebundene Erinnerungen und lokal überlieferte Geschichten eingeschrieben. Die auf Kreisen, Dreiecken und -Quadraten basierenden Zusammenstellungen bilden menschliche und tierische Figuren in Szenen des Alltaglebens, zum Beispiel beim Fischen, der Ernte oder rituellen Handlungen ab. So sind es nicht im eigentlichen Sinne Übermalungen, sondern in das Foto integrierte Ergänzungen und Erzählungen. Sie geben den Bildern noch einmal mehr Tiefe!

In den intimen Szenen und Porträts ihrer Serie Notes from the Desert fängt Gauri Gill das Leben marginalisierter ländlicher Gemeinschaften ein und zeichnet ein Bild der Widerständigkeit und des Überlebens in einer von Extremen geprägten Lebenswelt. Die persönlichen Begegnungen und langjährigen Freundschaften zu lokalen Bevölkerungsgruppen sind dabei Teil ihrer fotografischen Praxis, ohne die solche privaten und intimen Fotos nicht entstehen könnten. Ihre Fotos zeigen einen respektvollen und vertrauten Umgang mit den Menschen. Und sie zeigen ihren Lebens-, ihren Überlebenswillen inmitten all dieser Um- und Zustände.

Für die Werkgruppe Acts of Appearance (seit 2015) arbeitet Gill mit Pappmaché-Künstlern und Künstlerinnen der Adivasi-Gemeinschaften der Kokna und Warli in Jahwar zusammen. Wie bei Fields of Sight führt Gills Zugang hierbei über lokale kunsthandwerkliche Traditionen. Ihre Fotografie wird zur Bühne für neue Formen künstlerischen Ausdrucks. Mittels der für Acts of Appearance kollektiv gefertigten Masken entwickelt sich ein spielerisch-experimenteller Prozess der Selbstreflexion und Selbstdarstellung basierend auf der alltäglichen Lebenswirklichkeit der. Dorfgemeinschaft. Hierbei sind eindrucksvolle Fotografien entstanden. Mal skurril, mal witzig, mal befremdlich aber immer ausdrucksstark und in Farbe.

Ein Zeugnis enger freundschaftlicher Verbundenheit ist die Serie Jannat (1999–2007). Der 52-kleinteilige Zyklus begleitet das muslimische Mädchen Jannat und schildert das prekäre Leben ihrer vom Vater verlassenen Familie in alltäglichen, oft beiläufig erscheinenden Situationen.

Die großformatigen Aufnahmen des Projekts Traces(seit 1999) porträtieren Grabstätten von muslimischen wie hinduistischen Gemeinschaften aus vorgefundenen, manchmal handgravierten Steinen, Ästen, Tonscherben und persönlichen Gegenständen.

Als Gegenpol zu Traces hält die 2005 entstandene, acht kleinformatige Aufnahmen umfassende Reihe Birth Series das intime Ereignis einer Geburt in einer ärmlichen Hütte unter Anleitung einer erfahrenen Hebamme in einem entlegenen Dorf in der Wüste Thar fest.
Kaum erkennt man das kleine Wesen auf der nackten Erde, ist man berührt von diesem Akt der Geburt in dieser Umgebung. Ein wahrhaft intimer Moment. Ein Moment, wie er nur durch gewachsenes Vertrauen zwischen den Beteiligten entstehen und festgehalten werden konnte. (Walter H. Krämer)

Dieser letzte Raum der Ausstellung, der sich der Geburt und dem Tod widmet, hat etwas Großartiges, Berührendes und lädt ein, zu meditativer Betrachtung über das Leben und das Sterben. (Walter H. Krämer)

https://www.schirn.de/ausstellungen/2022/gauri_gill/

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der sowohl in der Schirn als auch im Buchhandel erworben werden kann: Gauri Gill. Acts of Resistance and Repair, herausgegeben von Esther Schlicht, mit Beiträgen von Alexander Keefe, Luise Leyer, Jisha Menon und Esther Schlicht sowie einem Vorwort des Direktors der Schirn Kunsthalle Frankfurt Sebastian Baden. Dt./Engl. Ausgabe, 268 Seiten, 245 Abb., 22 × 30 cm, Softcover, Kehrer Verlag, ISBN 978-3-96900-099-1

Gauri Gill: Ausstellungsansicht

Letzte Änderung: 26.10.2022  |  Erstellt am: 26.10.2022

GAURI GILL, UNTITELED (5), 2015-HEUTE, AUS DER SERIE „ACTS OF APPEARANCE“
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