Alles verschwindet!

Carl Theodor Reiffenstein (12. Januar 1820 - 6. Dezember 1893) war deutscher Architektur- und Landschaftsmaler der Romantik. Seine Aufzeichnungen und Bilder sind die mit Abstand wertvollste Quelle für das Leben in der Frankfurter Altstadt im 19. Jahrhundert und der seitdem eingetretenen Veränderungen. Der einzigartigen Sammlung des Bildchronisten widmet das Historische Museum Frankfurt ab November eine Ausstellung. “Man muss sich beeilen, um Frankfurt zu sehen […] noch weitere zehn Jahre des fortgesetzten Wandels und die alte Kaiserstadt wird von ihrer Vergangenheit nicht mehr bewahrt haben als Fotografien” (Victor Tissot, 1874). Gegen diese Vorhersage wehrt sich der Künstler Carl Theodor Reiffenstein. Mit über 2.000 Zeichnungen und Aquarellen sowie fast 3.000 Manuskriptseiten an Beschreibungen versucht er all das, was vom Verschwinden bedroht ist, festzuhalten.
Reiffensteins „Sammlung Frankfurter Ansichten“ gehört zum Gründungsbestand des Historischen Museums. Der Künstler verkaufte sie der Stadt 1877. Das Museum widmet ihr jetzt zum ersten Mal eine umfangreiche Ausstellung. Anhand von 34 kurzen Kapiteln wie Stadttore, Gassen, Brunnen, Friedhöfe, Goldene Waage, Judengasse, Innenhöfe, Panoramen, Spekulation und Romantik wird der Blick des Künstlers auf das alte Frankfurt vorgestellt. Es entstand eine „Psychogeographie“ Frankfurts, die ihr Augenmerk auf alte Gebäude und Bauwerke richtete, die kurz vor dem Abriss standen. Auf diese Weise wollte Reiffenstein einen Teil seiner Heimatstadt nicht nur für seine Erinnerung, sondern auch für spätere Generationen erhalten.
Verschwinden
Frankfurt, ewige Baustelle: Das traf im 19. Jahrhundert genauso zu wie heute. Damals veränderte sich das Stadtbild in einer zuvor unbekannten Geschwindigkeit. Mit der industriellen Revolution wuchs die Stadtbevölkerung und mit ihr die Stadt. Die Bauspekulation und der Durchbruch von Verkehrsadern und Eisenbahntrassen prägten den Städtebau. Die Infrastruktur wurde “saniert” oder modernisiert, das heißt oft verschwanden ganze Wohnviertel.
Auf diese Entwicklung reagierte Carl Theodor Reiffenstein: In Bildern und Beschreibungen versuchte er, die von Abrissen bedrohten Gebäude und das sich wandelnde Stadtbild festzuhalten. Nicht als Fotograf, sondern als Maler und Historiker schuf er zwischen 1836 und 1893 rund 2.000 Zeichnungen und Aquarelle und füllte er fast 2.400 Seiten mit handschriftlichen Notizen, in denen er die Geschichte und den sich wandelnden Zustand der Bauwerke festhielt. In seiner “Sammlung Frankfurter Ansichten” entwarf er etwas, was man als “Psychogeographie” bezeichnen könnte – einen persönlichen sozialen Erinnerungsraum der Stadt.
Erinnern
Die Klagen über das Verschwinden von Gebäuden und städtebaulichen Ensembles ziehen sich wie ein Leitmotiv durch Reiffensteins Jugenderinnerungen und durch seine Notizhefte. Zahllose Stadterkundungen riefen in ihm regelmäßig Erinnerungen an seine Jugendjahre, an geliebte und nun bedrohte Tummelplätze der Kindheit wach. Das von Melancholie durchtränkte Verlustgefühl und der Wunsch, das alte Frankfurt zu bewahren, waren die Triebfedern für Reiffensteins Schaffen. Er begab sich an alle Orte, an denen Bauwerke vom Abriss bedroht waren und hielt sie als Ganzes oder in Details fest, bevor sie verschwanden.
Dokumentieren
Seine Ambitionen gingen jedoch weit über das persönliche Erinnern hinaus. Für die Nachwelt wollte Reiffenstein das architektonische Erbe seiner Geburtsstadt in allen Aspekten und Details bewahren. Seine Sammlung sollte eine wahrheitsgetreue historische Quelle für spätere Generationen sein. Dabei ging es ihm nicht nur um bedeutende Kunstdenkmäler, sondern auch um die gewöhnlichen Häuser, in denen die Frankfurter lebten und arbeiteten. Diese Häuser mit ihren Hinterhöfen, Treppenhäuser und Gewölben, mit ihren Stuben und Werkstätten standen für das gesellschaftliche Miteinander, wie Reiffenstein es in seiner Jugend kennengelernt hatte. Mit seinem Werk schuf der Künstler eine einzigartige Quelle zur Kunst- und Sozialgeschichte Frankfurts. Gleichzeitig legte er den Grundstein für die romantisierende Verklärung der vorindustriellen “Altstädte”, die mit fortschreitender Modernisierung an Popularität gewannen.
Aquarellieren
Reiffenstein war aber vor allem Künstler und Landschaftsmaler. Die Sammlung Frankfurter Ansichten entstand in seinen Mußestunden. Mit dem Skizzenbuch zog er durch Frankfurt und hielt Plätze, Gassen und Häuser in Bleistiftzeichnungen fest. Viele Zeichnungen arbeitete er später zu Aquarellen aus. Dabei entstanden kleine, sorgfältige komponierte Kunstwerke, die wegen ihrer malerischen Qualitäten und intimen Stimmungen beim Publikum sehr beliebt waren. Häufig schuf er deshalb mehrere Fassungen von einem Motiv.
Ausstellen
Reiffensteins Sammlung Frankfurter Ansichten gehört zum Gründungsbestand des Historischen Museums: Der Künstler verkaufte sie der Stadt 1877. Das Museum widmet ihr jetzt zum ersten Mal eine umfangreiche Ausstellung. Der Blick des Künstlers auf das alte Frankfurt wird anhang von 34 kurzen Kapiteln wie Stadtbefestigung, Gassen, Brunnen, Friedhöfe, Goldene Waage, Judengasse, Innenhöfe, Panorama, Spekulation und Romantik vorgestellt. Die Ausstellung folgt keinem festgelegten Parcours. Die Besucher*innen flanieren wie in den engen Gassen der Altstadt und machen eine Zeitreise in die Vergangenheit, bei der sie hinter jede Straßenecke neue, überraschende Entdeckungen machen.
Veröffentlichen
Aus Anlass der Ausstellung erscheint ein reichillustrierter Band in der Reihe Kunststücke des Historischen Museums (ca. 200 Seiten, ca. 280 Abb., 24,90€), in dem Reiffensteins “Sammlung Frankfurter Ansichten” in etwa 70 verschiedenen Stichworten vorgestellt wird. Im Rahmen der Ausstellungsvorbereitung wurden alle Zeichnungen und Aquarelle Reiffensteins digitalisiert; sie werden der Öffentlichkeit in der Online-Sammlung des Museums zur Verfügung gestellt. Ebenso wird auch das zwölfbändige Manuskript Reiffensteins, das erstmals vollständig transkribiert wurde, auf der Homepage des Museums bereitsgestellt und mit der Online-Sammlung verknüpft werden, sodass stadt- und kunsthistorische Interessierte diese bedeutende Quelle zukünftig für ihre Forschungen nutzen können (demnächst auf: www.reiffenstein-sammlung-frankfurt.de).
Letzte Änderung: 25.10.2022 | Erstellt am: 25.10.2022
Alles verschwindet! –
Carl Theodor Reiffenstein (1820-1893) – Bildchronist des alten Frankfurt
Dauer der Ausstellung:
12. November 2022 – 12. März 2023
Historisches Museum Frankfurt
Saalhof 1
60311 Frankfurt am Main
Weitere Informationen:
historisches-museum-frankfurt.de
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