20.21 KANEINNEN - WERKSCHAU. REIHE. FESTIVAL zu Sarah Kane

Am 3. Februar 2021 wäre Sarah Kane 50 Jahre alt geworden. Sie war eine der radikalsten Vertreterinnen unter den modernen britischen Dramatikern und Regisseuren. Mit 28 Jahren - im Februar 1999 - nahm sie sich das Leben. Sie verfasste zwischen 1995 und 1999 insgesamt fünf Theatertexte – „Zerbombt“, „Phaidras Liebe“, „Gesäubert“, „Gier“ und „4.48 Psychose“ – in denen sie sowohl inhaltlich als auch formal neue Wege ging. Thematisch geht es um Abhängigkeiten und die Beeinflussung von Gefühlen in einem Wechselspiel von Liebe und Gewalt. Sechs freie Theatergruppen wollen dieses Jahr ihre Stücke in Frankfurt zeigen.
Trotz aller Brutalität und einer schonungslosen Darstellung von Gewalt und Grausamkeiten geht es in Kanes Stücken um Liebe und Menschlichkeit. Es geht der Autorin dabei um die ausschließliche Liebe, der maßlosen, unbedingten, totalen und totalitären, die weder Zerfleischung noch Selbstzerfleischung scheut und nach der Devise handelt „Liebe oder töte mich!“
Wegen seiner direkten Vermittlung psychischer und physischer Gewalt löste bereits ihr erstes Drama „Blasted – Zerbombt“ nach der Premiere 1995 heftige Reaktionen und Kontroversen aus. Als radikale Vertreterin des britischen „In-Yer-Face Theaters“ schlug ihr von Beginn an die Wut und das Unverständnis bürgerlicher Kritik(er) entgegen. Als „disgusting feast of filth – ekelhaftes Fest des Schmutzes“ beispielsweise bezeichnete die Daily Mail ihr erstes, 1995 uraufgeführtes Stück „Blasted – Zerbombt“.
Aber die noch junge Autorin ließ diese Seite der Kritik nicht auf sich beruhen und reagierte mit folgendem Statement: „Ein Stück über einen männlichen Journalisten mittleren Alters, der eine junge Frau vergewaltigt und selbst vergewaltigt und verstümmelt wird, hat mich bei einem Theater voller männlicher Kritiker mittleren Alters natürlich nicht gerade beliebt gemacht.“
Sarah Kane vermisste, dass kaum einer die Hoffnung, die in ihrem Erstlingswerk stecke, erkannte: „Aus Verzweiflung etwas Schönes zu schaffen, ist für mich das Lebensbejahendste, was ein Mensch tun kann.“
Das „In-Yer-Face Theatre“, so der Theaterkritiker Aleks Sierz in seinem Buch „In-Yer- Face Theatre. British Drama Today“, zeichne sich vor allem dadurch aus, dass es moralische Normen in Frage stelle, die gängigen Gepflogenheiten von Zeigbarem und Unzeigbarem auf der Bühne durchbreche, Tabus aufgreife und das Verbotene ausspreche. In Deutschland wurde Sarah Kanes Werk – im Gegensatz zur Rezeption im Vereinigten Königreich – von Beginn an positiv bewertet und aufgenommen und durch Inszenierungen von Peter Zadeck „geadelt“. Er inszenierte sowohl ihr Erstlingswerk „Blasted“ als auch ihr drittes Stück „Cleansed“ 1998 an den Hamburger Kammerspielen.
Im Verlaufe Ihres Schreibens veränderte sich Form und Stil der Autorin. Zeigen „Zerbombt“ und „Phaidras Liebe“ noch stark naturalistische Züge, erkennbare Charaktere und nachvollziehbare Regieanweisungen, entfernt sich Kane danach immer mehr davon, löst Strukturen, Identitäten und Rollen auf.


Anlässlich des 50. Geburtstages der Autorin haben sich nun freie Theatergruppen und Macher*innen aus dem Rhein-Main-Gebiet zusammengefunden und führen das komplette Werk an den Landungsbrücken Frankfurt – einem wichtigen Spielort der Frankfurter Freien Szene – auf: Als Werkschau, als Reihe, als Festival. Damit kehren die Stücke und deren Inszenierungen dahin zurück, wo sie ursprünglich ihren Anfang nahmen: in die freie Theaterszene abseits der großen Bühnen.
Sieben Regisseur*innen haben die fünf Stücke Sarah Kanes, sowie eine Stückentwicklung, die sich mit Sarah Kane als Person und ihrem Schaffen im zeitgenössischen Kontext auseinandersetzt, in ihrer jeweils individuell eigenen Ästhetik und Herangehensweise inszeniert: Felix Bieske + Linus König / Leitungsteam Landungsbrücken inszenierten „Zerbombt“, Meike Hedderich / mädchen*theater brachte „Phaidras Liebe“ auf die Bühne, Sebastian Bolitz / pan productions inszenierte „Gesäubert“, Sarah Kortmann / Kortmann&Konsorten setzte „Gier“ szenisch um, Mareike Buchmann / Fiel Impuks gestaltete die letzte Arbeit der Autorin „4.48 Psychose“ und Hannah Schassner entwickelte mit Antigone Akün und Leá Zehaf das Stück „IN HER FACE ODER DIE AUTORIN IST TOT“.
Die Inszenierungen sind mal trashig, poetisch, performativ, tänzerisch, laut oder leise, gehen unter die Haut – immer mit Respekt vor dem Werk der Autorin.
Nicht alle Rätsel um Texte und Autorin werden gelöst, klären sich auf. Es bleiben Fragen und die Aufgabe, den Kosmos von Sarah Kane weiter zu erkunden.
Für die Zuschauer*innen die seltene Gelegenheit, das Werk einer Autorin umfassend zu betrachten und sich in diesem Zusammenhang mit verschiedenen ästhetischen Positionen auseinanderzusetzen.
Emotionales und intellektuelles Theater – ganz im Sinne einer Autorin, in deren Stücke es immer trotz aller Gewalt um Liebe geht. Dafür finden sich in den Inszenierungen unterschiedliche Lösungsansätze und Herangehensweisen.
Einige Stücke sind noch bis Ende des Jahres zu sehen – „Zerbombt“ am 4. und 6.11. und am 2.12. / „Gesäubert“ am 25. und 26.11. / „4.48 Psychose“ am 21. und 24.10. und „In Her Face oder Die Autorin ist tot“ am 14. und 17.10.2021.
Ab dem 3. Februar 2022 dann – es wäre der 51. Geburtstag der Autorin – bis zum 13. Februar 2022 wieder alle sechs Inszenierungen im Rahmen eines Festivals an den Landungsbrücken.

Letzte Änderung: 23.09.2021 | Erstellt am: 22.09.2021
LANDUNGSBRÜCKEN FRANKFURT
Gutleutstraße 294
60327 Frankfurt am Main
Erstmals erscheint in deutscher Sprache Sarah Kanes viel beschriebenes Gesamtwerk in einem Band, der neben Zerbombt (1995), Phaidras Liebe (1996), Gesäubert (1998) und Gier (1998) auch das bisher unveröffentlichte, posthum uraufgeführte Stück 4.48 Psychose enthält und um ein biographisches Nachwort ergänzt wird. Deutlich wird zugleich Kanes Spannbreite – von den spektakulären, apokalyptischen Horrorszenarien ihrer drei ersten Stücke hin zur “wunderbaren, befremdlichen Sprachkomposition aus Zustandsbeschreibung, Lebensregeln, Story-Fetzen, Liebesverlangen, Liebesekel und Todessehnsucht” (Der Spiegel).

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