Die Dramatikerin, Hörspielautorin und Essayistin Ria Endres hat über die Jahre auch lyrische Werke verfasst, die unter dem Titel »Froher Wahnsinn« im Rimbaud Verlag erschienen sind. Für Faust-Kultur hat sie einige der Gedichte eingelesen.
text und audio
Ria Endres
GROSSMUADA
sanftes Kind
bist mit mir in Wald gfarn
hama Holz gsammelt
und Milch ghamstert
Großmuada
wia oft zeigst ma no
s Kreuz im Mond
du woast doch
do wird mas Herz
schwarz vor Furcht
oide Frau
mit dem Weihwasser
wos schleichst di
so rum in der Nacht
i konn ja net schlaffa
AUF DEM SINKENDEN SCHIFF
hinter der Mauer
von Gärten umgeben
steht ein Saal im Barock
ein weißer Engel ent-
blößt seine Brust
badet im
Deckengemälde
und schwere Töne
fallen zu Boden
Gäste in Schwarz
neigen die Köpfe
und klatschen und gehen
über die Töne
langsam die
Treppe hinab
durch das Laub
vor die Mauer
DIE MUTTER SAGT
«trink nicht so viel
sonst bläht sich der
Bauch und es schlägt dir
einer die Pfanne hinauf»
«Grüß Gott Herr Doktor
Grüß Gott Herr Dekan
Der Schlachter hat mir ein Leid getan»
HOCH OBEN
auf der steilen Wiese
die Hände hinter dem Kopf
die Haare auf der Erde
die Schuhe gefüllt mit Tieren
tief unten
ging ein Mann
furchtsam auf allen
Vieren
ich warf ihm Blumenköpfe
ins Seitental seines Genicks
ich leerte die Schuhe
über seinem bergigen Rücken
immer noch
trag ich
den Himmel
im Kopf
die Tiere
in Händen
die Haare
in den Schuhen
auf der steilen Wiese
SPRÜNGE
am Tisch mit der ‹Guten Aussicht›
essen wir mit der Abendsonne
ein hastiges Mahl
jede Sekunde ein Biß
jede Minute ein Schluck
jede Stunde ein Wort
vor der Nacht auf dem Plateau
am Tisch mit der ‹Guten Aussicht›
am Tisch mit der ‹Schlechten Aussicht›
schlecken wir morgens Wasserpfützen
abends werden die Teller immer schneller
mit Nebelsuppe gefüllt
bei diesem lautlosen Mahl blickt niemand
am Tisch zum letzten Mal
ins schwarze Tal
HERBST IM SÜDEN
zur Begrüßung
liegt ein
toter Skorpion
auf der Herdplatte
und ein armes
Glöcklein läutet
oben am Berg
zur Begrüßung
rückt der Berg näher
und du hast dich
verkrochen
zur Begrüßung
werden die Schatten
länger und ich trete
ins Brombeergestrüpp
zur Begrüßung
kriechen die Falter
an der Fensterscheibe hinauf
und der Singsang
der Vögel füllt
das Tal meines Kopfes
die Hauswand
sticht ein Muster
in den nackten Rücken
am linken Ohr
fällt Wasser herab
am rechten
gefällt nichts
im Sägewerk
ist Feierabend
Zeit für eine Mütze
Schlaf
morgen
reißt der Wind
den Sonnenschirm um
und übermorgen
schlägt er
die Wolken
zur Tür herein
Kommentare
erstellt am 27.6.2014

Siehe auch:

Alle Gedichte aus diesem Band:

Ria Endres
Froher Wahnsinn
Gedichte
Zeichnungen von Ingrid Hartlieb
Broschiert, 102 Seiten
Rimbaud Verlag, Aachen 2014