Das halbe Wort
Martin Piekar
„Löwe Tier“ nennt er sich auf Facebook. Das wusste ich bereits vor dem Open Mike. Ich hatte dort mit ihm kommuniziert. Es ging um eine Lesung von „sexyunderground“ im Orange Peel, Jamal Tuschick hatte mich eingeladen. Martin Piekar hatte mich dabei besonders interessiert, ich stellte ihm auf Facebook eine Frage zu der Veranstaltung. Er war sehr sehr nett. Leider kam mir im letzten Moment etwas dazwischen, ich konnte nicht zu der Lesung. Auch zum Open Mike schaffte ich es 2012 nicht. Doch ich verfolgte die Berichterstattung über seinen Erfolg, staunte, war fasziniert – und wollte ihn erst recht kennen lernen, diesen „schwarzen Romantiker“, wie man ihn in der Frankfurter Rundschau nannte. Was wollte man ihm alles „andichten“, „Scheiße, geil!“, formte ein Feuilletonist in dessen Bericht in „Scheißegal“ um – schien wohl besser ins Bild zu passen. Ins Bild eines Typen aus der Gothic Szene. Meine zweite Konversation mit ihm, erneut auf Facebook, weil ich ihn in „Das halbe Wort“ vorstellen wollte, ist wieder so herzlich, obwohl wir uns nach wie vor nicht persönlich kennen. Selten habe ich mit jemandem gechattet, der so zuvorkommend und höflich ist. Erst beim Lesen des Artikels in der Rundschau, als die Rede auf den Vater von Martin kam, machte es Klick bei mir. Er passt hier so gut rein, dachte ich. Und jetzt sind da diese Texte und ich denke: WOW! Ja, klar, gewinnt er diese Preise: Wie schafft es er ein Gemälde von Salvador Dalí oder Vincent van Gogh, das Lied „Insomnia“ von Faithless in Gedichte umzusetzen? Er möchte dies auch mit den Gemälden aus der Ausstellung „Schwarze Romantik“ im Städel tun. Ob ich sie dann auch hier auf Faust-Kultur vorstellen darf? Ich jedenfalls bin sehr gespannt auf diese Gedichte.
Ein Traum ist nur das Erinnern ans Träumen*
– zu: brennende Giraffe, Salvador Dalí, Öl auf Holz, 1936/37
Wie deine Knöchel deine Knie, deine Knie
Deine Hüfte, deine Hüfte deine Brüste stützen.
Du bist für mich ein Mikadospiel und jenseits
Von Facebookposts spielen wir. Wo es keinem
Gefallen kann – außer uns.
Bläu mich ein! Als deine Stütze
Will ich deine Hände, deine Arme meine
Sehnsucht aromatisieren lassen. Lass mich! bitte…
Die Tiefen deiner Synapsen
Machen mir klar: Meine Wünsche sind Gebirge
In dir. Unter deinen Brüsten
Ein Schubfach.
Ich lass es zu. Noch
Nicht.
Ich öffne die Schublade deines Schenkels –
Aber nicht mein Herz hineinzulegen – das
Wäre zu kitschig. Lieber ein Streichholz
– es anzuzünden zurecht. Warte.
Warte. Auf den Funken. Wie lange dauert es
Bis eine Giraffe runterbrennt?
Im Traum, Süße, im Traum.
Wie Distanzen welken
– zu: Sternennacht, Öl auf Leinwand, Vincent van Gogh, 1889
Die Nacht mäandert wie ein Schal
Um die Firnis des Mondes
Paar Sterne schnuppern hinaus
In die Welt sie schneiden
Mein Sichtfeld sieben mich
Aus letzten Lichtstrahlen wellen sich
Funken sie quellen und ballen sich
In der Stadt Schwaden von Watt
Zerlichten die Milchstraße
Ich verschlucke mich am Weltraum
Zwischen Düsternis und
Zypressen ist keine Hoffnung
Immergrün wirbelnder Wanderer
Spür in meinem Denken schon
Die Erdfortziehungskraft
Ein Melancholiker ernährt sich von Bojen
Im Vergnügen können Diäten
Tödlich sein doch in den Sternen denen ich
Plötzlich beinah bin steckt derselbe Taumel
Wie im Ungestümen
Die Stille von Schnee
Die Stille von Schnee rauscht als Echo von Staub
Wenn wir da am Telephon sitzend nichts sagen
Der Staub in den Telephonen,
Ja hörst du ihn nicht?
Knistern.
Wenn der Staub meines Telephons mich
Zu kryptomeren Partikeln abtrüge;
Hörtest du dann mehr als
Meinen Schneefall?
Ich suche im Bett
Wie die Nadel eines Kompasses
Wie die Nadel
Eines Kompasses, der einfach vergaß
Wo sein Norden ist
–
Ein Sog aus dem Hörer
Ich fühle mich so Funkturm
Mein Atem zeigt, dass
Ich erreichbar bin,
Damit ist meine Funktion erfüllt.
Die Zeit, nicht nur die tote,
Wetzt die Stille ab,
In ihr wollte ich mich niemals meistern.
Wie wir auch verschweigen, wir erodieren alle
Dabei wissen wir seit Monaten, was zu sagen ist.
Nicht, dass es uns irgendwie anhalten könnte,
Wenn wir etwas sagten, aber die Stille weist auf
Die Krüge in mir, voller Unwissen
Versuche sie zu leeren –
Aber es lässt sich so schwer schlucken –.
Damit die Stille mich nicht abwetzt
Schreie ich:
I can´t get no sleep
I can´t get no
I can´t get no sleep
Ich balanciere durchs Telephon
auf einem Oberleitungskabel
wir wissen doch beide schon
wem die Stille schlägt
Faithless Insomnia
Katastrophentourismus
Bystander sind, glaub ich
Immer
Auf der Pirsch nach Haptischem
Ohne je den Fassbeweis zu wagen
Der Unfall scheint
Ein Neglige zu tragen und ihr
Wollt einen Lupfen, einen
Windzug von Entblößung
In dieser Schreckenspornographie
Hat nicht ein Kopf den Kopf
Zu helfen und das ist die Ausrede für
Eure Behinderung
Ihr Dickichtgesichter
Ihr schiebt den Atem des Unfalls euch rein
In eure offenen Schlünde
Wie eine blue-ray-disk, so gierig auf
Slowmotioneffekte oder Standbild in
Real definition
Ich bin euer Voyeur, beim Vorbeifahrn
Nur mein Fetisch ist
Euch zu verachten,
Es erregt und beruhigt mich
Zugleich ein bisschen
Siehe auch:
DAS HALBE WORT
Kommentare
Drachy - ( 04-02-2013 07:56:22 )
ich bin so stolz auf ihn und freue mich auf jedes weiter gedicht, ich als eine freundin kann sie auf so viele arten lesen. zum einen als selbstständige gedichte zum anderen als teil seines lebens und was ihn dazu inspirierte. weiter so großer^^
erstellt am 23.1.2013
aktualisiert am 06.10.2013

Martin Piekar, ’90 geboren, Student der Philosophie und der Geschichte an der Goethe-Uni in Frankfurt am Main; wohnhaft in Bad Soden. 2012 Stipendiat der Stiftung Niedersachsen beim Literaturlabor Wolfenbüttel, sowie Lyrikpreisträger beim Open Mike. Veröffentlichte in Literaturzeitschriften (z.B. POET, floppy myriapoda, Federwelt) und Anthologien („Destillate“ 2012 Reihe Wolfebüttler-Akademie-Texte, „Open Mike“ im Allitera Verlag). Ist Mitglied des Jungautorenkollektivs „ sexyunderground“ des Literaturhauses Frankfurt am Main.